Nachteilsausgleich: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Krankheit, Erkrankung, chronische Erkrankung und Behinderung von Prüflingen und die Möglichkeit, einen Nachteilsausgleich zu gewähren.'''
'''Krankheit, Erkrankung, chronische Erkrankung und Behinderung von Prüflingen und die Möglichkeit, einen Nachteilsausgleich zu gewähren.'''


"Im Prüfungsverfahren geht es darum, die wahren Kenntnisse und Fähigkeiten des Prüflings möglichst genau zu ermitteln, um so die Grundlage für eine zutreffende Bewertung zu schaffen."<ref>Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 6. Auflage, Rdnr. 127.</ref>  Ausgangspunkt ist also die persönliche Leistungsfähigkeit eines Prüflings. Bei der Abnahme von Prüfungen ist zudem der '''Gleichbehandlungsgrundsatz''' zu beachten. Bezogen auf eine einzelne Prüfung bedeutet dies, dass alle Studierenden gleiche Anforderungen erfüllen und gleiche Prüfungsbedingungen vorfinden müssen.  
"Im Prüfungsverfahren geht es darum, die wahren Kenntnisse und Fähigkeiten des Prüflings möglichst genau zu ermitteln, um so die Grundlage für eine zutreffende Bewertung zu schaffen."<ref>Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 6. Auflage, Rdnr. 127.</ref>  Ausgangspunkt ist also die persönliche Leistungsfähigkeit eines Prüflings. Bei der Abnahme von Prüfungen ist zudem der '''Gleichbehandlungsgrundsatz''' zu beachten. Bezogen auf eine einzelne Prüfung bedeutet dies, dass alle Studierenden gleiche Anforderungen erfüllen und gleiche Prüfungsbedingungen vorfinden müssen. Sind Studierende in einer bestimmten Weise (insbesondere in Form einer anerkannten Behinderung) dauerhaft oder längerfristig beeinträchtigt und haben deshalb Schwierigkeiten, die Leistung zu erbringen, stellt sich die Frage, ob und wie man durch geeignete Maßnahmen solche Beeinträchtigungen ausgleichen kann, um eine Gleichbehandlung wieder herzustellen. Hierbei ist jeweils im Einzelfall zu fragen, um welche Beeinträchtigung es sich handelt, wie sich diese auswirkt, was die Leistungsanforderung ist und ob unter den zuvor genannten Voraussetzungen eine Möglichkeit für einen sog. Nachteilsausgleich besteht.
 
Im Folgenden werden Einzelheiten erläutert und Beispiele aus der Rechtsprechung benannt. <ref>Nachfolgende Ausführungen basieren auf dem “UDE-HANDBUCH FÜR PRÜFUNGSAUSSCHUSSVORSITZENDE”, Stand 15.07.2011 Seite 85 ff.. Überarbeitungen wurden vorgenommen. Der Universität Duisburg-Essen wird für die freundliche Genehmigung gedankt.</ref>
 
a. Von einer Behinderung wird gesprochen, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit eines Menschen mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist, § 2 Absatz 1 Satz 1 SGB IX.
 
b. Nachteilsausgleich mittels Änderung der Form oder des Umfangs der Prüfung kann nur für aktuelle, länger andauernde oder dauerhafte Beeinträchtigungen einer oder eines Studierenden gewährt werden, die nicht die generelle persönliche Leistungsfähigkeit des Prüflings betreffen oder vermindern.
Der Grundsatz der Chancengleichheit wird nur dann gewahrt, wenn Nachteile ausgeglichen werden, die allein die Technik der Leistungserbringung <ref>VG Saarbrücken, Urteil v. 05.03.2009 – 1 K 643/08.</ref> und die Umsetzung der kognitiven und geistigen Fähigkeiten betreffen, anders ausgedrückt, wenn die Beeinträchtigung den „Nachweis“ der vorhandenen Befähigung erschwert <ref>VG Berlin, Beschluss vom 30. Oktober 2014 – 5 L 221.14.</ref> (Beispiel: Seh- oder Hörschwäche, Defizite beim Sprechen).
Auf unabsehbare Zeit andauernde konstitutionelle Beeinträchtigungen oder Beeinträchtigungen der kognitiven Leistungsfähigkeit oder ähnliche Leiden sowie in der Person des Prüflings verwurzelte Anlagen und Besonderheiten sind nicht ausgleichbar, wenn sie generell für die abgeprüfte und bewertete Befähigung des Prüflings von Bedeutung sind. <ref>vgl. BVerwG, Beschluss v. 13.12.1985 – 7 B 210/85; Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 6. Auflage 2014, Rz. 258.</ref>
 
Konkret ist bei der Frage, ob ein Nachteilsausgleich gewährt werden kann, das jeweilige in der Prüfungsordnung oder Modulbeschreibung festgelegte Qualifikationsziel (Kompetenzziel) in den Blick zu nehmen. Nur soweit das Qualifikationsziel durch die betreffende Person überhaupt erreicht werden kann, besteht Spielraum für einen Nachteilsausgleich. <ref>VG Köln, Urteil vom 14. November 2013 – 6 K 2888/13.</ref>
 
Beispiele bei denen in der Regel kein Nachteilsausgleich in Betracht kommt:
* chronische Erkrankungen psychischer Art, rheumatischer Art sowie chronische Herz- Kreislaufstörungen <ref>Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 6. Auflage 2014, Rz. 258.</ref>,
* Denkblockaden infolge von Angststörungen<ref>OVG NRW, Urteil vom 08. Juni 2010 – 14 A 1735/09.</ref>,
* phobische Angststörung <ref>OVG NW, Urteil v. 08.06.2010 – 14 A 1735/09; VG Bremen, Urteil vom 20. Juli 2015 – 1 K 257/14.</ref>,
* Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung <ref>VG Freiburg (Breisgau), Beschluss v. 30.08.2007 – 2 K 1667/07.</ref>,
* übermäßige Nervosität und Konzentrationsstörungen <ref>VG Berlin, Urteil v. 30.01.2008 – 12 A 634/05.</ref> auch als Folge von Medikamenteneinnahme,
* viele Allergien <ref>vgl. OVG NRW Beschluss vom 21. Juni 2006 – 14 E 374/06.</ref>
* Stoffwechselstörungen.
 
So erschwert nach der Rechtsprechung <ref>VG Freiburg (Breisgau), Beschluss v. 30.08.2007 – 2 K 1667/07.</ref> eine Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung (ADS/ADHS) im Erwachsenenalter nicht nur die rein mechanische Lese- und Schreibtätigkeit als technischen Vorgang, sondern die gedankliche Erarbeitung der Klausurlösung selbst ist beeinträchtigt. Es handelt sich in der Regel um ein Dauerleiden, das als persönlichkeitsbedingte Eigenschaft die Leistungsfähigkeit des Prüflings dauerhaft prägt und nicht durch den Einsatz von Hilfsmitteln ausgeglichen werden kann. Insbesondere da derartige Entscheidungen stark von den konkreten Umständen des Einzelfalles abhängig sind, ist die Gewährung eines Nachteilsausgleichs im Einzelfall zu prüfen.
 
Dagegen kann ein anerkannter Legastheniker für die Anfertigung der Klausuren einen angemessenen Nachteilsausgleich (Schreibzeitverlängerung) beanspruchen.<ref>VGH Kassel, Beschluss v. 03.01.2006 – 8 TG 3292 / 05; VG Schleswig, Urteil v. 10.06.2009 – 9 A 208/08.</ref> Bei der Legasthenie wird zwar nicht der typische mechanische Schreibvorgang beeinträchtigt, aber es handelt sich um eine Beeinträchtigung, die sich in langsamerer Lesegeschwindigkeit sowie einer erschwerten handschriftlichen Darlegung des gefundenen Ergebnisses und somit in einer mangelnden technischen Fähigkeit zur Darstellung des eigenen Wissens erschöpft.<ref>OVG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 19.08.2002 – 3 M 41/02.</ref>
c. Einen Nachteilsausgleich bei anderen Behinderungen als solchen im Sinne des Sozialgesetzbuches kennen Prüfungsordnungen in der Regel auch. Hierbei gilt es, dieselben rechtlichen Grundsätze wie zuvor beschrieben zu berücksichtigen. Einziger Unterschied ist, dass keine anerkannte Behinderung im Sinne des SGB vorliegt.
 
d. Liegen die Voraussetzungen für einen Nachteilsausgleich vor, sind die zu treffenden Maßnahmen im Einzelfall zu betrachten und in Art und Bemessung bedarfsgerecht danach auszurichten, wie die Beeinträchtigung möglichst voll ausgeglichen werden kann. Vergleichsmaßstab bei der Suche nach ausgleichenden Maßnahmen für behinderte und benachteiligte Studierende sind die Prüfungskandidaten, die insoweit nicht beeinträchtigt sind. So wird der Wettbewerb unter den Studierenden hinsichtlich der Berufsbefähigung durch die nachteilsausgleichenden Maßnahmen nicht verfälscht und der Gleichbehandlungsgrundsatz beachtet. Die Prüfungsbedingungen sind nur im erforderlichen Rahmen zu modifizieren, ohne dass sich die geprüften fachlichen Anforderungen qualitativ vereinfachen dürfen.<ref>VG Köln, Urteil vom 14. November 2013 – 6 K 2888/13.</ref> Der behinderungsbedingte Nachteil darf durch die Ausgleichsmaßnahmen jedoch nicht überkompensiert werden und zu einer Privilegierung des behinderten oder sonst benachteiligten Prüflings gegenüber anderen Kandidaten führen. Beispiel: Die Gewährung einer unbegrenzten Schreibzeitverlängerung führt zur Überkompensation des Nachteilsausgleichs, indem ein Zeitvorteil gegenüber den Mitprüflingen geschaffen wird, der sich auf die Vollständigkeit, Tiefe und Struktur der Bearbeitung auswirkt bzw. auswirken kann, damit möglicherweise zu einer besseren Bewertung und somit zu einer Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit.
 
Folgende nachteilsausgleichende Maßnahmen können für behinderte Studierende in Betracht kommen, sofern die Voraussetzungen vorliegen (nicht abschließend):
 
* Angemessene Verlängerung der Bearbeitungszeit bei schriftlichen Prüfungen – i.d.R reicht die Verlängerung bis zur Hälfte der regulären Prüfungszeit aus, z.B. bei durch Attest nachgewiesener Legasthenie Schreibzeitverlängerung von 10%,
* Ersetzung der schriftlichen Prüfung durch eine mündliche Prüfung, z. B. bei Sehbehinderten,
* Aufgabentext als Sprachausgabe oder in besonders großer Schrift oder auf bereit gestelltem Laptop mit verstellbarer Schriftgröße für sehbehinderte Studierende
* Ersetzung einer mündlichen durch eine schriftliche Prüfung, z. B. bei Hörgeschädigten,
* Hinzuziehung einer Gebärdensprachendolmetscherin, z.B. bei Taubstummen,
* Hinzuziehung einer Schreibassistenz bei Behinderung der Schreibfähigkeit,
* Verlängerung der Zeitabstände zwischen den Prüfungen,
* Aufteilung einer Prüfungsleistung in Teilleistungen,
* Unterbrechung von Prüfungsleistungen (insbesondere Klausuren) durch Erholungspausen ohne Anrechnung auf die Bearbeitungszeit,
* Bereitstellung spezieller höhenverstellbarer Büromöbel im Falle von Körperbehinderungen,
* angemessene Verlängerung der Bearbeitungszeit von Abschlussarbeiten
* sofern möglich, Bereitstellung technischer Hilfsmittel, z.B. zusätzliche Leselampe oder Computer mit spezieller Software der Universität bei Sehbehinderungen oder mit spezieller Tastaturbelegung bei Beeinträchtigungen der Hand oder des Handgelenks,
* Bereitstellung eines zusätzlichen Raumes (z.B. bei notwendiger Assistierung des behinderten Studierenden),
* Bereitstellung eines barrierefrei zugänglichen Prüfungsraumes.
 
Die Nutzung eigener technischer Geräte, z.B. Laptop oder eigener Software des Studierenden, ist grundsätzlich nicht möglich, wenn dadurch ein Vorteil nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann.
 
Ein Ausgleich im Wege einer fiktiven Verbesserung der Prüfungsnote ist ebenfalls unzulässig.
 
 
e. Das Verfahren zur Beantragung eines Nachteilsausgleichs geht von den betroffenen Studierenden aus. Der Antrag muss rechtzeitig vor einer Prüfung gestellt werden, die Behinderung ist glaubhaft zu machen. Hierzu kann ein ärztliches Attest erforderlich sein. Die Prüfungsbehörde muss genügend Zeit für die Prüfung und ggf. das Ergreifen von nachteilsausgleichenden Maßnahmen haben.
In den Bachelor- und Masterstudiengängen der Universität Bielefeld ist daher vorgesehen, dass der Antrag spätestens 3 Wochen vor dem jeweiligen Prüfungstermin gestellt werden soll; Anträge auf Nachteilsausgleich für Studienleistungen sind in einem angemessenen Zeitraum vor deren Erbringen zu stellen (z.B. § 19 Abs. 3 BPO).  

Version vom 30. November 2015, 19:11 Uhr

I. Nachteilsausgleich

Krankheit, Erkrankung, chronische Erkrankung und Behinderung von Prüflingen und die Möglichkeit, einen Nachteilsausgleich zu gewähren.

"Im Prüfungsverfahren geht es darum, die wahren Kenntnisse und Fähigkeiten des Prüflings möglichst genau zu ermitteln, um so die Grundlage für eine zutreffende Bewertung zu schaffen."[1] Ausgangspunkt ist also die persönliche Leistungsfähigkeit eines Prüflings. Bei der Abnahme von Prüfungen ist zudem der Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten. Bezogen auf eine einzelne Prüfung bedeutet dies, dass alle Studierenden gleiche Anforderungen erfüllen und gleiche Prüfungsbedingungen vorfinden müssen. Sind Studierende in einer bestimmten Weise (insbesondere in Form einer anerkannten Behinderung) dauerhaft oder längerfristig beeinträchtigt und haben deshalb Schwierigkeiten, die Leistung zu erbringen, stellt sich die Frage, ob und wie man durch geeignete Maßnahmen solche Beeinträchtigungen ausgleichen kann, um eine Gleichbehandlung wieder herzustellen. Hierbei ist jeweils im Einzelfall zu fragen, um welche Beeinträchtigung es sich handelt, wie sich diese auswirkt, was die Leistungsanforderung ist und ob unter den zuvor genannten Voraussetzungen eine Möglichkeit für einen sog. Nachteilsausgleich besteht.

Im Folgenden werden Einzelheiten erläutert und Beispiele aus der Rechtsprechung benannt. [2]

a. Von einer Behinderung wird gesprochen, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit eines Menschen mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist, § 2 Absatz 1 Satz 1 SGB IX.

b. Nachteilsausgleich mittels Änderung der Form oder des Umfangs der Prüfung kann nur für aktuelle, länger andauernde oder dauerhafte Beeinträchtigungen einer oder eines Studierenden gewährt werden, die nicht die generelle persönliche Leistungsfähigkeit des Prüflings betreffen oder vermindern. Der Grundsatz der Chancengleichheit wird nur dann gewahrt, wenn Nachteile ausgeglichen werden, die allein die Technik der Leistungserbringung [3] und die Umsetzung der kognitiven und geistigen Fähigkeiten betreffen, anders ausgedrückt, wenn die Beeinträchtigung den „Nachweis“ der vorhandenen Befähigung erschwert [4] (Beispiel: Seh- oder Hörschwäche, Defizite beim Sprechen).

Auf unabsehbare Zeit andauernde konstitutionelle Beeinträchtigungen oder Beeinträchtigungen der kognitiven Leistungsfähigkeit oder ähnliche Leiden sowie in der Person des Prüflings verwurzelte Anlagen und Besonderheiten sind nicht ausgleichbar, wenn sie generell für die abgeprüfte und bewertete Befähigung des Prüflings von Bedeutung sind. [5]

Konkret ist bei der Frage, ob ein Nachteilsausgleich gewährt werden kann, das jeweilige in der Prüfungsordnung oder Modulbeschreibung festgelegte Qualifikationsziel (Kompetenzziel) in den Blick zu nehmen. Nur soweit das Qualifikationsziel durch die betreffende Person überhaupt erreicht werden kann, besteht Spielraum für einen Nachteilsausgleich. [6]

Beispiele bei denen in der Regel kein Nachteilsausgleich in Betracht kommt:

  • chronische Erkrankungen psychischer Art, rheumatischer Art sowie chronische Herz- Kreislaufstörungen [7],
  • Denkblockaden infolge von Angststörungen[8],
  • phobische Angststörung [9],
  • Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung [10],
  • übermäßige Nervosität und Konzentrationsstörungen [11] auch als Folge von Medikamenteneinnahme,
  • viele Allergien [12]
  • Stoffwechselstörungen.

So erschwert nach der Rechtsprechung [13] eine Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung (ADS/ADHS) im Erwachsenenalter nicht nur die rein mechanische Lese- und Schreibtätigkeit als technischen Vorgang, sondern die gedankliche Erarbeitung der Klausurlösung selbst ist beeinträchtigt. Es handelt sich in der Regel um ein Dauerleiden, das als persönlichkeitsbedingte Eigenschaft die Leistungsfähigkeit des Prüflings dauerhaft prägt und nicht durch den Einsatz von Hilfsmitteln ausgeglichen werden kann. Insbesondere da derartige Entscheidungen stark von den konkreten Umständen des Einzelfalles abhängig sind, ist die Gewährung eines Nachteilsausgleichs im Einzelfall zu prüfen.

Dagegen kann ein anerkannter Legastheniker für die Anfertigung der Klausuren einen angemessenen Nachteilsausgleich (Schreibzeitverlängerung) beanspruchen.[14] Bei der Legasthenie wird zwar nicht der typische mechanische Schreibvorgang beeinträchtigt, aber es handelt sich um eine Beeinträchtigung, die sich in langsamerer Lesegeschwindigkeit sowie einer erschwerten handschriftlichen Darlegung des gefundenen Ergebnisses und somit in einer mangelnden technischen Fähigkeit zur Darstellung des eigenen Wissens erschöpft.[15] c. Einen Nachteilsausgleich bei anderen Behinderungen als solchen im Sinne des Sozialgesetzbuches kennen Prüfungsordnungen in der Regel auch. Hierbei gilt es, dieselben rechtlichen Grundsätze wie zuvor beschrieben zu berücksichtigen. Einziger Unterschied ist, dass keine anerkannte Behinderung im Sinne des SGB vorliegt.

d. Liegen die Voraussetzungen für einen Nachteilsausgleich vor, sind die zu treffenden Maßnahmen im Einzelfall zu betrachten und in Art und Bemessung bedarfsgerecht danach auszurichten, wie die Beeinträchtigung möglichst voll ausgeglichen werden kann. Vergleichsmaßstab bei der Suche nach ausgleichenden Maßnahmen für behinderte und benachteiligte Studierende sind die Prüfungskandidaten, die insoweit nicht beeinträchtigt sind. So wird der Wettbewerb unter den Studierenden hinsichtlich der Berufsbefähigung durch die nachteilsausgleichenden Maßnahmen nicht verfälscht und der Gleichbehandlungsgrundsatz beachtet. Die Prüfungsbedingungen sind nur im erforderlichen Rahmen zu modifizieren, ohne dass sich die geprüften fachlichen Anforderungen qualitativ vereinfachen dürfen.[16] Der behinderungsbedingte Nachteil darf durch die Ausgleichsmaßnahmen jedoch nicht überkompensiert werden und zu einer Privilegierung des behinderten oder sonst benachteiligten Prüflings gegenüber anderen Kandidaten führen. Beispiel: Die Gewährung einer unbegrenzten Schreibzeitverlängerung führt zur Überkompensation des Nachteilsausgleichs, indem ein Zeitvorteil gegenüber den Mitprüflingen geschaffen wird, der sich auf die Vollständigkeit, Tiefe und Struktur der Bearbeitung auswirkt bzw. auswirken kann, damit möglicherweise zu einer besseren Bewertung und somit zu einer Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit.

Folgende nachteilsausgleichende Maßnahmen können für behinderte Studierende in Betracht kommen, sofern die Voraussetzungen vorliegen (nicht abschließend):

  • Angemessene Verlängerung der Bearbeitungszeit bei schriftlichen Prüfungen – i.d.R reicht die Verlängerung bis zur Hälfte der regulären Prüfungszeit aus, z.B. bei durch Attest nachgewiesener Legasthenie Schreibzeitverlängerung von 10%,
  • Ersetzung der schriftlichen Prüfung durch eine mündliche Prüfung, z. B. bei Sehbehinderten,
  • Aufgabentext als Sprachausgabe oder in besonders großer Schrift oder auf bereit gestelltem Laptop mit verstellbarer Schriftgröße für sehbehinderte Studierende
  • Ersetzung einer mündlichen durch eine schriftliche Prüfung, z. B. bei Hörgeschädigten,
  • Hinzuziehung einer Gebärdensprachendolmetscherin, z.B. bei Taubstummen,
  • Hinzuziehung einer Schreibassistenz bei Behinderung der Schreibfähigkeit,
  • Verlängerung der Zeitabstände zwischen den Prüfungen,
  • Aufteilung einer Prüfungsleistung in Teilleistungen,
  • Unterbrechung von Prüfungsleistungen (insbesondere Klausuren) durch Erholungspausen ohne Anrechnung auf die Bearbeitungszeit,
  • Bereitstellung spezieller höhenverstellbarer Büromöbel im Falle von Körperbehinderungen,
  • angemessene Verlängerung der Bearbeitungszeit von Abschlussarbeiten
  • sofern möglich, Bereitstellung technischer Hilfsmittel, z.B. zusätzliche Leselampe oder Computer mit spezieller Software der Universität bei Sehbehinderungen oder mit spezieller Tastaturbelegung bei Beeinträchtigungen der Hand oder des Handgelenks,
  • Bereitstellung eines zusätzlichen Raumes (z.B. bei notwendiger Assistierung des behinderten Studierenden),
  • Bereitstellung eines barrierefrei zugänglichen Prüfungsraumes.

Die Nutzung eigener technischer Geräte, z.B. Laptop oder eigener Software des Studierenden, ist grundsätzlich nicht möglich, wenn dadurch ein Vorteil nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann.

Ein Ausgleich im Wege einer fiktiven Verbesserung der Prüfungsnote ist ebenfalls unzulässig.


e. Das Verfahren zur Beantragung eines Nachteilsausgleichs geht von den betroffenen Studierenden aus. Der Antrag muss rechtzeitig vor einer Prüfung gestellt werden, die Behinderung ist glaubhaft zu machen. Hierzu kann ein ärztliches Attest erforderlich sein. Die Prüfungsbehörde muss genügend Zeit für die Prüfung und ggf. das Ergreifen von nachteilsausgleichenden Maßnahmen haben. In den Bachelor- und Masterstudiengängen der Universität Bielefeld ist daher vorgesehen, dass der Antrag spätestens 3 Wochen vor dem jeweiligen Prüfungstermin gestellt werden soll; Anträge auf Nachteilsausgleich für Studienleistungen sind in einem angemessenen Zeitraum vor deren Erbringen zu stellen (z.B. § 19 Abs. 3 BPO).

  1. Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 6. Auflage, Rdnr. 127.
  2. Nachfolgende Ausführungen basieren auf dem “UDE-HANDBUCH FÜR PRÜFUNGSAUSSCHUSSVORSITZENDE”, Stand 15.07.2011 Seite 85 ff.. Überarbeitungen wurden vorgenommen. Der Universität Duisburg-Essen wird für die freundliche Genehmigung gedankt.
  3. VG Saarbrücken, Urteil v. 05.03.2009 – 1 K 643/08.
  4. VG Berlin, Beschluss vom 30. Oktober 2014 – 5 L 221.14.
  5. vgl. BVerwG, Beschluss v. 13.12.1985 – 7 B 210/85; Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 6. Auflage 2014, Rz. 258.
  6. VG Köln, Urteil vom 14. November 2013 – 6 K 2888/13.
  7. Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 6. Auflage 2014, Rz. 258.
  8. OVG NRW, Urteil vom 08. Juni 2010 – 14 A 1735/09.
  9. OVG NW, Urteil v. 08.06.2010 – 14 A 1735/09; VG Bremen, Urteil vom 20. Juli 2015 – 1 K 257/14.
  10. VG Freiburg (Breisgau), Beschluss v. 30.08.2007 – 2 K 1667/07.
  11. VG Berlin, Urteil v. 30.01.2008 – 12 A 634/05.
  12. vgl. OVG NRW Beschluss vom 21. Juni 2006 – 14 E 374/06.
  13. VG Freiburg (Breisgau), Beschluss v. 30.08.2007 – 2 K 1667/07.
  14. VGH Kassel, Beschluss v. 03.01.2006 – 8 TG 3292 / 05; VG Schleswig, Urteil v. 10.06.2009 – 9 A 208/08.
  15. OVG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 19.08.2002 – 3 M 41/02.
  16. VG Köln, Urteil vom 14. November 2013 – 6 K 2888/13.