Gkl:kommentar:kap20

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Das Zwentzigst Capitel

(Gargantua, Kap. 16)

Zusammenfassung

Nachdem Gargantua sich von der Reise nach Paris beim Wein erholt hat, besichtigt er mit seinem Anhang die Stadt. Bedrängt von neugierigen Einwohnern zieht er sich an die Kirche Notre Dame zurück und begrüßt die Bürger von Paris mit einem kräftigen Strahl Urin. In der Flut ertrinken 260 418 Einwohner, einige retten sich an den höchsten Ort, die Sorbonne. Sie schimpfen, fluchen, aber lachen auch und kommen so - par ris - zu ihrem Namen. Gargantua entdeckt die Glocken von Notre Dame und hängt sie seinem Reittier als wohltönende Zierde um den Hals. Einem Oberen der St. Antonius-Ritterschaft gefallen die Glocken ebenfalls, aber wegen deren Größe lässt er vom Diebstahl ab. In der Volksversammlung im Vorort Nesle wird beschlossen, eine Legation an Gargantua zu schicken, um die Rückgabe der Glocken zu erwirken. Abgesandter wird der theologische Magister Janotus de Bragmado.

285

  • unser Frauenkirch ] Notre Dame auf der Isle de Cité de Paris.
  • Disputatz ] Disputation, f. (auch Disputatz), 'wiss. Streitrede' (DWB 2, 1190).

286

Absatz 1

/ 215 /

  • Rebenkrafft ] vgl. Weinkraft, f., 'der geistige Gehalt des Weins' (DWB 28, 952).
  • Troßbüblin ] vgl. Troszbube, 'Tross-Knecht', Diener im Gepäckzug des Heeres - oft mit Betonung der niedrigen sozialen Schicht (DWB 22, 1070).
  • welchs einem Kerles mit dem Spieß hett hinweg tragen mögen ](A: ainen Kerles, B: einen Kerles; C und d: einem Kerles - Druckfehler?) - Kerl, m., Singular auch Kerles, 'echter tapferer Mann, Held'; hier aber Plural; 'das (mir oder einem anderen) tapfere Helden mit dem Spieß hinweg hätte tragen können' ; anders gedeutet nach den Ausgaben A und B: "welchs einen kerles mit (samt) dem spiesz hett hinweg tragen mögen" (DWB 11, 575 f.: Kerl II 2 a) ('das einen gestandenen Kerl mitsamt seinem Spieße hätte hinweg tragen können'). Vgl. Kap. 1, S. 40: "die Kerles, die Helden", Kap. 26, S. 349: "fünf kerles".
  • Fotzenthürlich ] "gebildet wie affentürlich, abenteuerlich?" (DWB 4, 46, diese Stelle); Fotze, f. eigentlich 'Vulva', weibliches Geschlecht; jedoch auch abfällig für das 'Maul' (DWB 4, 42-45); vgl. theuerlich, adj. (DWB 21, 371), also 'das, was dem geschwätzigen Maul teuer oder von hohem Wert' erscheint. Vgl. eventuell noch fatzen, v. und Fatzwerk, n., Spötterei (DWB 3, 1363 f. u. 1366).
  • Futzspitzig ] adj. 'voll Neugier schleichend' (DWB 4, 1043 s.v. fuszspitzig, diese Stelle [Fehllesung nach der Ausg. 1608]); Bildung zu Futze, f., dass. wie Fotze, 'Vulva', 'Maul' (DWB 4, 1102) und spitzig, adj. 'gierig, begierig' (DWB 16, 2634: spitzig 3; ohne Aufschluss der Eintrag DWB 4, 1103 s.v. futzspitzig)
  • wunderfützig ] wunderfitzig, adj., 'neugierig, vorwitzig, naseweis' (DWB 30, 1874; ElsWB 2,840a); vgl. fitzig, ajd. 'erpicht, versessen' (DWB 3, 1696); vgl. Wunderfitz, 'Neugierde' (ElsWB 2, 839b).
  • Cymbalen ] Zimbel, m., n., f., mlat. cimbalum, hier 'eine Art Glocke' (DWB 31, 1277: Zimbel 1 b).
  • ein Teutscher Latz auff dem Kopff ] Latz, m. "an den männerhosen, ursprünglich das band oder der riemen, mit dem man den zwischenschlitz der beiden hosenbeine zuband ... als im 15. jh. die beiden hosenbeine durch ein oben vorn angebrachtes stück zeug von kapselartiger ... form verbunden wurden, hat sich der name darauf übertragen" (DWB 12, 282 f.: Latz 2). Der das männliche Geschlecht betonende Latz wurde als anstößig empfunden und manchenorts verboten (so in den Nürnberger Polizeiordnungen, hier "Von den hosen letzen" [15. Jh.], Hrsg. von Joseph Baader. Stuttgart 1861, S. 105 f., die im DWB-Artikel zitiert werden). Es könnte auch ein Brustlatz gemeint sein (DWB 12, 283: Latz 3), "ein die brust bedeckendes kleidungsstück bei männern". Der Latz als Kopfbedeckung wird jedenfalls genauso Aufsehen erregen wie die anderen erwähnten Volksattraktionen.
  • Ist es nicht besser - das Loch fürs Liecht ] Eine Quelle für den Wellerismus (das Sagwort) vom Blinden und der das Loch weisenden Frau ist vor Fischart nicht bekannt (Edmund Hoefer: Wie das Volk spricht. Deutsche Sagwörter. 9. Aufl. Stuttgart: Kröner 1885; Reprint: Hildesheim: Olms 1995, S. 31, Nr. 310; Wander, Besser 358). "Ist es nicht besser/ so ists doch schöner/ sagte jener Blinde." (Christophorus Lehman: Ander Theil Florilegii Politici aucti. Das ist: Ernewerten Politischen Blumen-Gartens/ Continuatio. Frankfurt 1641, S. 158) [Digitalisat]


Absatz 2

  • zusteuren ] steuern, v. reflexiv, (sich) '(ab)stützen', (DWB 18, 2639: steuern A 1), frz. reposer, 'sich ausruhen'.
  • unfläterlin vnnd Liartpastetlin ] zweigliedrige Übersetzung von frz. maroufle, 'Flegel, Lümmel'; Unfläterlein, n. (DWB 24, 557, nur diese Stelle); Diminutiv zu Unfläter, m. 'unmäßiger, schweinischer Mensch' (DWB 24, 555 f.); vgl. frz. liard, 'Heller' (kleine Münze; Hinw. Nyssen); "un petit pâté d'un liard (de deux liards)", Henri Sauval: Histoire et recherches des antiquités de la ville de Paris. Tome second. Paris 1724, [S. 457]; P.L. de Beauclair: Cours de Gallicismes. Seconde partie. Francfort 1795, [S. 174] und Bäcker-Ordnung, Bordeaux 1643: Anciens et nouveaux statuts de la ville et cité de Bordeaux. Bordeaux 1701, [S. 361], 'kleine Pasteten für wenig Geld' (die man mglw. auch maroufles nannte? Vergleichbar wäre der 'Schusterjunge' im Berlinischen) - maroufle: "personnage grossier ou malhonnête" ('ungehobelte oder unredliche Person', Baldinger [2001]); der Begriff hat drei Bedeutungen: 1. große und fette Katze, 2. Spitzbube und 3. Malerleim, -paste; vgl. Pierre Guiraud: Les champs morpho-sémantiques. Critéres externes et critéres internes en étymologie. In: Bulletin de la Societé de Linguistique de Paris 52 (1956), S. 265-288, hier 269f. u. 287 f.
  • Proficiat ] n., Willkommensgruß; von lat. proficiat, "seit dem frühen 16. Jahrh. als Willkommensgruß, Abschluß- oder Abschiedswort vielfach bezeugt" (DFWB 2, 672), 'möge es nützen, wirken', 'Wohl bekomm's' (ärztlich); vgl. Kap. 4, S. 88
  • Risenwadel ] als Kompositum nicht im DWB; vgl. Wedel, m. , Pinsel' (DWB 27, 2820: wedel 2 d), 'Tierschwanz' (DWB 27, 2822-2824: wedel 4), 'männliches Glied' (DWB 27, 2825: wedel 5); Wadel, 'Schweif, Schwanz von Tieren', ',männliches Glied' (ElsWB 2, 787b f.).
  • par riß ] lat. per risum, 'zum Spaß' (nach Steinsieck, S. 61); par risée, frz. 'durch Gespött'.
  • den Zotten ... par reissen ] bar, Adj. 'nackt, bloß' (DWB 1, 1055-1060 s.v. baar); Zott, m. 'Haarbüschel, abgenützte Fasern an e. Kleid', auch 'grober Scherz' (DWB 32, 128: Zott 2); wie Zote, f. (DWB 32, 123-127) oft in der Formel "Zotten reißen", eine derben Scherz ins Werk oder Wort setzen.
  • Barchat ] m., "ein aus leinen und baumwolle dicht gewirkter starker sehr verbreiteter stof" (DWB 1, 1125); s. oben Kapitel 4, S. 91: "jagt vmb den Barchat".
  • zuentbreisen ] entbreisen, v., 'entschnüren, aufknüpfen' (DWB 3, 504, diese Stelle); vgl. breisen, v., 'schnüren'
  • Krotten und Katzenseychisch ] Krotte, f., NF von Kröte (DWB 11, 2414-2419); vgl. Krötenseiche, f., (DWB 11, 2423, diese Stelle), Katzenseiche, f. 'Katzenpisse' (DWB 11, 300, mit dieser Stelle).
  • zubeschmeysen ] beschmeißen, 'besudeln' (DWB 1, 1582-1584; ElsWB s, 488a s. v. Schmeiss(e))

/ 216 /

  • ohn Weiber unnd Kinder, die gehn drein ] vgl. die Formulierung im Matthaeus-Evangelium: "exceptis mulieribus et parvulis" (Speisung der Fünftausend, Mt 14,21) (Hinw. Defaux, Anm. 2 zu Kap. XVI); drein gehen, "zugegeben, in den kauf gegeben werden", "wird nicht mitgerechnet" (DWB 2, 771-775: drein 3); Plattard, Anm. 3 zu Kap. XVII (S. 217): "Formule fréquente dans la Bible" (unzutreffend).

287

  • Seichschwämme unnd Pissefort ] (Garg.: "pissefort") - Seichschwemme, "schwemme die durch harn hervorgebracht wird" (DWB 16, 169, diese Stelle); vgl. pissen, v. 'urinieren' (DWB 13, 1869) und Furt, f. "durchgangsorte durch einen fluss" (DWB 4, 896) oder fort, adv. als Richtungsangabe ('hinweg'); frz. pissefort, 'Urin-Sintflut' (Defaux: Index verborum, S. 524: "déluge d'urine"); "Urine abondante" (Huguet 5, 800); Weidmann (1913), S. 55 (Beispiel für Beibehaltung des frz. Worts neben der Übersetzung); nicht bei Baldinger (2001), nicht im FEW.
  • gänger ] gänge, adj., 'gut im Gang, hurtig, flink rasch' (zu Fuß) (DWB 4, 1239: gänge II,1,a,β u. γ).
  • geflügelter Fersen ] Verweis auf Hermes, dessen Attribut geflügelte Schuhe oder Stiefel (hier an den Fersen) sind (vgl. Hederich, 1599).
  • auff Pegasisch volante Caballo ] lat. 'mit fliegendem Pferd' (wie Pegasus).
  • per riso ] ital. 'mit einem Lachen'.
  • parriß ] in A: par riß, es jdm. bar reißen, s. oben S. 286, "den Zotten ... par reissen"; vgl. DWB 14, 755: reiszen II,2).
  • tadderten ] tattern, dadern, v. 'schnattern wie gänse', 'ungeschickt, hastig schwätzen' (DWB 2, 671; DWB 2, 828; DWB 21, 160).
  • Carymary Garymara, Scharifari Scharifara, Hammira Hummira, Danderlo, Dunderlo ] aufgeregtes Geschrei der Pariser (gefolgt von derben Flüchen). - Vgl. D. Weise: Die Wortdoppelung im Deutschen. In: Zeitschrift für deutsche Wortforschung 2 (1902), S. 8-24, hier S. 18 "schallnachahmende Interjektion"; zur Deutung als Vogelstimmen s. Friedrich Stark: Der Kehrreim in der deutschen Literatur. Diss. Göttingen. Duderstadt 1886, S. 18; Bulang (2011), 414 deutet dies als "rhythmisierten Vogelgesang"; wohl nach Spengler oder Hauffen: "Sinnfrei sind dabei z.B. die Vogelstimmen in der Geschichtklitterung: schmetterten, taderten, klapperten und schnabelten zusammen wir [!] die Vögel ... Carymary ... Dunderlo, womit er die sinnlichen Qualitäten der Sprachkörper erlebt und sich von ihnen forttragen lässt zu Klangschwelgereien." (Spengler 2005, S. 1487); "Nachahmung des vielartigen Geschreis der dem Garn entwischten Vögel" (folgt Zitat; Hauffen [1922], 2, 339).
  • Carimary Garymara ] vgl. Maistre Pierre Patelin, 613 f. "Marmara, Carimari, carimara, Amenez les moy, amenez!"; "This gibberish seems to parody some weird formula once used by priests in performing exorcisms upon persons supposedly possessed." (The farce of Master Pierre Patelin. Composed by an unknown Author about 1469. Englished by Richard Holbrook. Boston, New York 1905, 103); Plattard (1961), Kap. XVII, 218, Anm. 6: "Formule cabalistique" (unzutreffend)
  • Scharifari ] nach lat. caribaria, gr. karebaria, 'Kopfschwere'; frz. charivari, 'Durcheinander, Verrücktheit'.
  • Hammira Hummira ] n. abschließend erm..
  • Dunderlo ] vgl. Donnerloch, Dunderloch, n. "Vertiefung in dem Erdboden, die von dem Einschlagen des Blitzes herrührt" (ElsWB 1, 550b); Stark (1886), S. 18: "Das Mittelalter scheint in dem Gesang der Nachtigall etwas von dem Trompetenton gehört zu haben." (Stark vergleicht diese Stelle mit dem "Tandaradeie" aus dem Lindenlied Walthers von der Vogelweide).
  • Ketten für ] Der Ausruf könnte "Ketten vor/heraus" meinen; Ketten wurden verwendet zur Sperrung von Straßen (Gassenkette f.; s. DWB 11, 630 f.: Kette 2 a und DWB 4, 1451: Gassenkette); Geschütze wurden auch mit Ketten(kugeln), Geschützschrot geladen (DWB 11, 632: Kette 2 e); vgl. den Festtag Petri Kettenfeier (1. August).
  • die Höllische darr ] Darre, f. 'Schwindsucht, Auszehrung' (DWB 2, 787, mit dieser Stelle); vgl. darr, m. 'Dürre, Trockenheit' (DWB 2, 785).
  • Sant Asmus Haspel ] Das Attribut des Hl. Erasmus ist eine Winde (Haspel), "mit welcher ihm die Eingeweide ausgewunden werden" (Pfleiderer: Attribute, 176).
  • Schorbock ] m., 'Scorbut, Mundfäule' (DWB 15, 1573).
  • Sammer botz ] zusammengezogen aus "sam mir" (DWB 14, 1745) und botz, ein Ausruf, mglw. von Boss, m. 'Schlag' oder euphemistisch, parodistisch für Gott, (DWB 2, 279 f. und DWB 14, 1727: sam 4)
  • Pariß man uns den Zotten ] s. oben Kap. 20, S. 286.
  • zerrissen Stümpff ] Stumpf, m. 'Halbstrumpf ohne Fuß', auch 'lang heraufreichende Strümpfe' (DWB 29, 439: stumpf J 1 u. 2; vgl. DWB 3, 1336 s.v. Fase, f., mit dieser Stelle).
  • Fasen ] Fase, f. 'Faden, Franse, Faser' (vgl. DWB 3, 1336, mit dieser Stelle).
  • welche zuvor Lucece genannt ward, wie Strabo meldet Lib: 4 ] Garg. 1559, S. 65: "Paris: laquelle au auant on appellot Leucece. Comme dit Strabo lib. iiii." - nach Regis II,1,80 u. Plattard (1961, Anm. 7 zu Kap. XVII) eine fehlerhafte Angabe; nach Lefranc I,17,38 u. Schrader, S. 466 findet sich der Name Leuketia - abgeleitet von leukos, weiß - bei Kaiser Julianus Apostata, 322-363 n. Chr., in seiner Schrift Misopogon, Iul. mis. 340d: Λουκετίαν· ὀνομάζουσι δ᾿ οὕτως οἱ Κελτοὶ τῶν Παρισίων ("Lutetia - for that is how the Celts call the capital of the Parisians"; Übers. Wilmer C. Writh); nach Plattard (1909), S. 253; Lefranc u. Steinsieck zu 61,33 steht bei Strabon der Name Lukotokia. (Strab. geogr. IV,3,5: "καὶ πόλιν Λουκοτοκίαν" / "a city called Lucotocia"; Übers. H. L Jones) - vgl. Carolus Stephanus: Dictionarium historicum 1566, fol. 204vb: "Lutetia, Galliae vrbs ... Graeci λευκετιαv nominant ab albedine parietum" (Hinw. Seelbach 2000, 132).
  • zu Griechisch Weißloch von Weißbaden und Schartzwaden ] vgl. die deutschen Ortsnamen Wiesloch, Wiesbaden; lies "Schwartzwaden" (als Verkehrung von Weißbaden)?
  • Posterioren ] lat. posteriora, 'Rückseite, Hinterteil'.
  • der löblich brauch des Stein auß gebens ] Fischart nennt im Spielekapitel, Kap. 25, Bl. 320 (Nr. 163) "Steyn außgeben (A: Den stain ausgeben)" (DWB 1, 866: ausgeben 3; nicht im HWA).
  • dan an den Fersen sicht man, ob eine mit dem Arß kan Zundel schlagen ] An den Fersen/Fesseln soll man das erotische 'Feuer' einer Frau erkennen; Zundel, m., "alem. seitenform von Zunder" (DWB 32, 552 f.; ElsWB 2, 907b), Zundel schlagen, 'Feuer machen, zündeln'; Sprichwort (Wander: Ferse 1).
  • von Luto, weils Luter Kaat Endten da hat ] lat. lutum, 'Dreck, Kot, Sumpf'; luter, adv. 'nichts als, nur' (ElsWB 1, 627b: luter 5); lauter, adj. 'bloß, nichts als' (DWB 12, 382 f.: lauter 14); Kaat, m., Nebenform von Kot (DWB 11, 1890 s.v. Koth); Ende, n., 'Ort' (DWB 3, 449: Ende II,2). Vgl. den Pariser Stadtteil Marais (marais, 'Sumpf, Morast'), Kap. 18, S. 276.

288

  • wie jener farend Schuler die Bäurin uff dem kropff ließ ] Anspielung auf den Fahrenden Schüler im Paradies, u.a. bearb. von Hans Sachs: (Ed. Goetze 2, Nr. 22): Faßnacht spiel mit 3 Personen: Der farendt Schuler im Paradeiß (1550). Ein auf Wanderschaft von Paris kommender Student trifft auf eine einfältige Bäuerin, die Paris irrtümlich als Paradies versteht. Sie schickt den Studenten zurück mit Kleidung und Geld, um den verstorbenen, jetzt mittellos im Paradies auf Almosen angewiesenenen ersten Ehemann auszustatten. - auf dem Kropf (zur Ader) lassen, 'jemanden seinem Irrtum überlassen' (DWB 11, 2398: Kropf 3 g, mit dieser Stelle).

Absatz 3

  • stifftung ] stiften, v. hier 'ersinnen, erdichten' (DWB 18, 2886: stiften II A 3; DWB 18, 2903: stiftung 2 c).
  • umbstand ] (Garg.: "tous les assistants", alle Anwesenden), Umstand, m. 'die um etwas herumstehenden Leute' (DWB 23, 1166 f.: Umstand 1a).
  • rüstung unnd reysig schwur ] reisig, adj. und adv. "zu reise im sinne von kriegszug, expeditio gehörig, gerüstet" (DWB 14, 745: reisig 1), "in substantivischem gebrauche der älteren sprache der reisige, der berittene, berittener kriegsknecht" ´(ebd. 14, 747); vgl. die Redewendung 'Stein und Bein schwören'. - EXPERTENRAT (Lexikologie).
  • Pfarrhiser ] (Garg.: "les Parisiens") - Wortspiel mit frz. paroisse/Pfarre und gr. παρρησία (parrhēsia), 'Freimütigkeit, Offenheit'; 'Redefreiheit'; vgl. Garg., im darauf folgenden Satz: "que sont dictz Parrhesiens en Grecisme, c'est à dire fiers en parler."; "daß man sie im Griechischen Parrhesier nennt, was so viel heißt, daß sie ein loses Maul hatten" (Übers. W. Steinsieck). Vgl. weiter unten "Parrhesier" und "Pfarrenreisser".

/ 217 /

  • Jureurs vnnd Juristen ] jureur, frz. 'Flucher, Lästerer'; vgl. jurer, 'eidlich geloben, schwören'.
  • Gottsächter vnnd Gutsrechter ] Gottesächter, m. 'Gottloser' (im DWB 8, 1130 unter Gott-Kompositionstypen I C 3 a, Substantivkomposita, nur diese Stelle; Gottesächter ist jedoch im 17. und 18. Jh. durchaus auch bei anderen Autoren geläufig); Ächter, m. 'Geächteter' (DWB 1, 170); vgl. gottverachtet, adj. part. (DWB 8, 1127); gottverdammt, adj. part. (DWB 8, 1418); Rechter, m. 'sein Recht Fordernder', 'Richter' oder 'Rechte-Inhaber' (DWB 14, 410) - EXPERTENRAT (Lexikologie).
  • Barenscheisser vnnd Pfarrenreisser ] vgl. DWB 1, 1139 s.v. Barnscheiszer, m., "was barnhengst" (nur diese Stelle); die Brüder Grimm stellen es wie Barnhengst, m. (DWB 1, 1139 mit zwei Belegen von Fischart) und Barnmähre, f. (DWB 1, 1139 mit einem Beleg von Fischart) zum Bestimmungswort Barn, m., 'Krippe' (DWB 1, 1137-1139); Pfarrenreißer nicht im DWB; zu Pfarre, f., 'Kirchspiel, Pfarrei' (oder Farre, m., 'Stier'? so DWB 1, 1130 s.v. Bärenreiszer, "die sich an einen Farren ... wagen wollen") und reißen, v., 'rupfen, reißen, zerren'? EXPERTENRAT (Lexikologie)
  • außzuschneiden ] ausschneiden, v., 'entmannen, kastrieren' (DWB 1, 958: ausschneiden 2, mit dieser Stelle).
  • Bärenreisser ] m., 'ein feiger Prahlhans', im Pl.: 'die sich an einen Bären wagen wollen' (DWB 1, 1130, diese Stelle, mit Verw. auf Bärenringer).
  • Parides, die inn den Toden Achillem stechen ] In Homers Ilias stechen die Achaier ihre Lanzen in den gerade von Achilles getöteten Hektor: "Keiner nahte sich, ohne nochmals nach der Leiche zu stoßen." (22,371), was sie sich zuvor nie getraut hätten. Alexander Paris hat zwar Achilles getötet, jedoch wird an keiner Stelle erwähnt, dass er den Leichnam geschändet habe oder noch einmal in den bereits toten Körper des Achilles eine Lanze oder das Schwert gestochen habe. Vgl. Serv. Aen. VI,57: Paris schießt im Apollo-Tempel Achilles in die Ferse, und Dict. Cret. IV,9: Paris durchbohrt Achilles mit dem Schwert. Vgl. auch [Dares Phrygius] 34: "als ihn Paris ermordet, so habe er auch gewollt, man solle ihn den Vögeln vorwerfen" (Hederich, 38); Ellmer (1895), 17 setzt Achilles mit dem Admiral Gaspard II. de Coligny (1519-1572) gleich, Hugenottenführer und prominentestes Opfer der Bartholomäusnacht. Dies könnte zutreffen; vgl. Nicolas Barnaud: Reveille matin. 1575, Bl. G6r "[Danach] liefe das Volk straks zu des entleibten Admirals Herberg/ vnd namen seinen toden Cörper/ vnd schleipften jn durch die Gassen biß ans Wasser/ vnd nachdem sie jm das Manlich Glid vnd den Kopf abgehawen/ prachte ain Soldat aus des Königs Guardi … das Haupt jm dem König. Den vberigen Leichnam zerstachen die aus dem gemainen Volk mit Tolchen vnd Messern/ vnd schänten jn auf allerhand weg/ schlaifften jn auch letzlich an den Galgen Montfaucon/ vnd hengten jn daselbst an die Füs."
  • Hasen, die umb den toden Lewen dantzen ] Alciati: Emblemata (1531) C8b u.ö. (s. Henkel/Schöne: Emblemata, Sp. 397 ff.); Die feigen Hasen sind mutig genug, dem toten Löwen die Haare aus dem Bart zu rupfen; bei Alciati wird ein Bezug hergestellt zur Tötung des Hector durch Achill und die Schändung seiner Leiche; noch deutlicher heißt es bei Nicolas Reusner: Emblemata. Frankfurt/M. 1581, II, Nr. 27 (zit. nach Henkel/Schöne: Emblemata, 398); "Sic magni quondam superatum robore Achillis; Quisque petit telis Hectora lixa suis." ('So zielte einst jeder Troßknecht mit seinem Pfeil auf Hector, als er vom großen Achill überwunden war.'); die Fabel nicht bei Dicke/Grubmüller (1987).
  • öpffelspiler zu ernst ] Apfelspieler, 'einer, der mit Äpfeln spielt'? (wie Paris bei der Entscheidung, welcher Göttin der Apfel der Eris gebühre) (Nyssen); vgl. "zu Schimpf und zu Ernst" (DWB 3, 924 f.: Ernst 5); "Fischart sagt: apfel bedeut meidlinspil" (ohne Nachweis DWB 1, 533 s.v. Apfel) - gemeint ist aus der Hierogylphendeutung des 12. Kapitels die Stelle "Apffel [bedeutet] Meydlinspil" (in A: "Apfel Maidlinspil"); ebd.: "In sprache und poesie heiszen äpfel die weiblichen brüste". EXPERTENRAT (Neolatinistik).
  • Hundsfutt ] Hundsfutt, "schimpfwort für einen verächtlichen, vorzüglich feigen menschen" (nach dem Geschlechtsteil der Hündin; DWB 10, 1934 f. s.v. Hundsfott, mit dieser Stelle) - vgl. Kap. 1, S. 51 "Weibische Hundsfutt Paris von Troia"; Kap. 15, S. 257: "Hundsfuttkrieg"; Kap. 37, S. 446: "jhr mein liebe Hundsfuͤtt".
  • fressen die toden Hugenoten inn Pasteten ] Anspielung auf das Pogrom der Pariser Bevölkerung gegen die Hugenotten in der sog. Bartholomäus-Nacht oder Bluthochzeit (Anlass war die königl. Hochzeit Heinrichs von Navarra und Margarete, der Schwester des Königs von Frankfreich) am 24./25. August 1572; vgl. die Flugschrift Warhafftige beschreibung/ vnnd gründtlicher Bericht/ von dem vnerhörten Blutbadt zu Paris in Franckreich … Straßburg/ im Jar M.D. LXXII. [VD16 W 222] [Digitalisat] – Vgl. auch die umfangreiche Flugschrift von Nicolas Barnaud: Reveille matin (1575; mit gereimten Beiträgen Johann Fischarts), zusammenfassend Bl. G ij r: „Den ganzen Sontag vber/ nemlich den 24. Augusti/ hat man mit würgen vnd plündern zugepracht. Also das man vermaint/ es seien auf denselbigen tag zu Paris vnd inn der Vorstat/ mer dan zehen tausent Personen vmgepracht worden/ … Die Gassen waren bedeckt mit toden Cörpern/ die flissende Wasser mit Blut gefärbet". vgl. Kap. 49, S. 512: "Burgermetzigung vnd Bartholomisirungen der vnderthanen"; (Hinw. Ellmer 1895, S. 17). - Jemanden in Pasteten fressen, vgl. 'jemanden im Sauerkraut fressen' (Wander, fressen *45, *101, Kerl *109); vgl. Kap. 8, S. 176, "deiner neun fress ich zur Morgensupp".
  • so meinet Joaninus de Barraveo im Buch de copiositate reverentiarum, daß sie auff Griechisch Parrhesier genannt seyen worden ] Garg. 1559, S. 66: "Dont estime Ioaninus de Barrauco, libro de copiositate reuerentiarum" ('Die große Anzahl an Hochwürden', Schrader [1964], S. 66; 'Über die Fülle von Ehrerbietungen', Steinsiek [1992] zu Garg. 62,7). Der Buchtitel ist erfunden (Lefranc [1912], S. 161, Anm. 41); ; mit dem Autor könnte der 'portugiesische Livius' João de Barros (1496-1579) gemeint sein. Fischart hat den Autor sicher nicht gekannt und den Namen (mit Fehllesung; "barranco" ist das spanische Wort für Schlucht, frz. ravin) übernommen.
  • Parrhesier ] (Garg.: "Parrhesiens")- nach dem griech. παρρησία, Freimütigkeit, Offenheit; frz. hardiesse, 'Kühnheit, Dreistigkeit, Unverschämtheit'. S. oben "Pfarrhiser".
  • farrenfrech ] adj. 'dreist, lästig, frech wie ein Stier' (Deutung von παρρησία) (DWB 3, 1334, diese Stelle).
  • pletzen ] plätzen, v. "factitiv zu platzen", 'schlagen, verhöhnen' (DWB 13, 1924); vgl. Platzerei, Plätzerei, f. 'Schwätzerei' (DWB 13, 1924).
  • Birenpastet ] eine mit Birnen gefüllte Pastete ist ungewöhnlich, meist ist diese gefüllt mit Fleisch oder Fisch. Vgl. jedoch das Stichwort "Pastetenfülle von Aepffeln" im Zedler 26, 1053.
  • Mais horch ] mais frz., 'aber'.
  • Schelmenfleisch ] "Fleisch von einem toten Körper", Aas (DWB 14, 2513); Wortspiel mit der anderen Bedeutung von Schelm, 'verworfener Mensch, Verräter, Schurke' (DWB 14, 2507-2510); vgl. Nicolas Barnaud: Reveille matin. 1575, Bl. J iij v, der kein "gröser Schälmenwerk" kennt als die jüngstvergangene Hugenottenverfolgung und -ermordung.

Absatz 4

  • Seichbad ] n. "bad, das aus seich, harn besteht" (DWB 16, 167, diese Stelle und ein weiterer Beleg aus Fischarts Flöhhatz).
  • Salve puella ] Analecta hymnica medii aevi 20,174: "Salve puella, David filia, Rosa novella" (23954); Jacob Regnart (1540-1599): Salve puella gratiae. In: ders.: Mariale. 1588; auch vertont von Fernando di Lasso: Salve puella gratiae (Magnificat-Vertonung); Salve Puella, Gott Grus (Ludwig Senfl, Elias Nikolaus Ammerbach 1530-1597: Tabulaturbuch); Elias Nikolaus Ammerbach: Orgel oder Jnstrument Tabulaturbuch. Nürnberg 1583 [VD16 A 2310], S. 187 (Nr. 122: Salue puella, Gott grüs/ etc.) - EXPERTENRAT (Musikwissenschaft)
  • Hammelthier ] nicht im DWB; analoge Bildung wie Tigerthier, n. 'Tiger' (DWB 21, 499), Rennthier, n. 'Ren' (DWB 14, 815); das Reittier Gargantuas wird im vorangehenden Kapitel 19 als eine Mischung aus riesigem Kamel ("UrChammel", S. 284) und Hammel geschildert.
  • etwas neues auß dem Bad (bringen) ] Neuigkeiten und Nachrichten (DWB 13, 651 f.: neu II 1) werden in der Badstube weitererzählt. Nicht bei Röhrich: Sprichwörtliche Redensarten; nicht bei Wander.

289

  • Spanische Schlänglein ] ist der Heringswurm, Anisakis simplex gemeint? Ein Fadenwurm, der vornehmlich Heringe befällt (Heinz Mehlhorn: Die Parasiten des Menschen. 7. Aufl. 2012, S. 169).
  • Schunckenkommenther ] Garg.: "un commandeur jambonnier de Saint Antoine"; Kompositum aus Schinken, m. (Nebenform Schunke, Schunken, m. DWB 15, 2003 f.) und Komtur, m., 'Ordenspfründner', 'Verwalter einer Commende', 'Vorgesetzter eines Ordenshauses' (vgl. Komtur, m. DWB 11, 1688); "leur supérieure s'appelait Commandeur" (Defaux).
  • Sant Tönigs Ritterschaft ] (A: Sant Töngis; BC: Sant Tönigs; vgl. Kap. 16, S. 262) "S. Antonius, ein Geistlicher Orden von S. Augustini Regul, dessen Haupt-Sitz die Abtey S. Antonii von Vienne in Dauphine ist." (Zedler 2, 692); "les membres de l'ordre de Saint-Antoine avaient la réputation de guérir les porcs; ils portaient le surnom de 'jambonniers'" (Defaux); Fischart meint hier jedoch den Ritterorden: "S. Antonius Ritter-Orden, welchen Albertus, Hertzog in Bayern, Graf von Holland und Seeland eingesetzet, als er, an 1382. wider die Türcken zu Felde zog."
  • Säuräuber ] Viehdieb, der Schweine stiehlt (nicht im DWB), Wortspiel mit "Seeräuber".
  • statzioniert ] stationieren, v., 'mit Reliquien umherziehen und Geld sammeln', hier im übertragenen Sinn (DWB 17, 943 f., mit dieser Stelle).
  • Säugart ] Gart, f., 'das Herumtreiben der herrenlosen Landsknechte' auf der Suche nach Nahrung bei den Bauern (DWB 4, 1382-1384); vgl. garten, v. das Umherziehen von Landsknechten, Soldaten zur Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln ("von den landsknechten, gleich auf der gart liegen, umziehen", DWB 4, 1386); Säugart, f., im DWB (14, 1887, nur diese Stelle) erklärt mit "bettel mit diebstahl an schweinen" (wohl kaum zutreffend).
  • Heiligthumbeselige ] Kompositum aus Heiligtum, n. und esellich, adj., 'asininus' (vgl. DWB 3, 1149) oder 'selig'.
  • Suitet ] hier umgedeutet als Abstraktum zu Sau, 'Sauheit'. Sonst nach mlat. suitas, -atis, 'Suität', ein Rechtsbegriff zu "suus heres", 'Erbe seiner selbst'. Vgl. den Art. Possessio Suitatis im Zedler 28, 1769 und den Art. Sui Jus, Zedler 40, 1806: "dasjenige Recht ..., welches denen ... zustehet, sich ihrer verstorbenen Eltern oder Herrschafften auf sie geerbte Verlassenschafft so gleich zuzueignen, und deren Besitz ohne viele besondere Umstände zu continuieren".
  • wan er Gribenklingelet ] wenn er Speck erbettelt (mit der Schelle oder Glocke klingelt); vgl. klingeln, v. (DWB 11, 1177 f.: klingeln 2c) und Griebe, f., 'ausgelassenes Fettstückchen' (DWB 9, 250: Griebe 1; ElsWB 1, 267b: Grieb).
  • kärner ] Kerner, m., nach mlat. carnarium, 'Fleischkammer, Rauchkammer' (DWB 11, 606: Kerner 2, diese Stelle).
  • hespen ] Haspe, f., 'Kniebug, Hamme, Hinterkeule', Schinken (des Schweins) (DWB 10, 544: Haspe 3, mit dieser Stelle).
  • kämeten ] Kämet, n., 'Kamin, Schlot' (DWB 11, 99, mit dieser Stelle).
  • wie der Römisch Landherr Verres - quibus pulchritudo periculo, amplitudo saluti fuit ] Cajus Verres, Prätor in Sizilien; "Etwas wichtiges ist von diesem Verres nicht vorbey zulassen, nehmlich, daß er aus den Städten, die er eroberte, die Statuen der Götter nahm, und solche in seine kostbare Gallerie setzete" (Zedler 47, 1647); " Ante aedem Cereris in aperto ac propatulo loco signa duo sunt, Cereris unum, alterum Triptolemi, pulcherrima ac perampla. Pulchritudo periculo, amplitudo saluti fuit, quod erorum demolitio atque asportatio perdifficilis videbatur." Cic. Verr. 2, IV,110 (49) / "Vor dem Tempel der Ceres stehen auf einem offenen und freien Platze zwei Bildnisse, eines, das Ceres, ein anderes, das Triptolemos darstellt, wunderschöne und sehr große Werke. Denen brachte die Schönheit Gefahr, die Größe aber Rettung, weil es äußerst schwierig schien, sie loszumachen und fortzuschaffen"; Übers.: Manfred Fuhrmann); Hinw. Leitzmann, 15; Nyssen).
  • die S. Christoffel Triptolemaß ] S. Christoffel wird hier von Fischart wegen der Größe der Christophorus-Figuren mit der Triptolemos-Statue bei Cicero verglichen: "Er [Christophorus] wird insgemein in einer gar grossen Gestalt vorgestellet, Christum unter der Gestalt eines Kindes auf seinen Schultern tragende, wozu vielleicht sein Name mag Gelegenheit gegeben haben; wiewohl, wenn die Gebeine ... ächt sind, er in der That von einer ungemeinen Riesen-Länge müste gewesen seyn." (Zedler 5, 2255) Zu Triptolemos, der von der Ceres unsterblich gemacht wurde, erster Gesetzgeber Athens war und den Menschen den Getreideanbau lehren sollte, vgl. Zedler 45, 871.
  • Wer er nicht der von Burg ] Garg. E: "Cil ne fut pas celluy de Bourg" ("Dieser war nicht der von Bourg"); Garg. 1573: "Si ne fut pas celuy de Bourg" ("Wenn es nicht der von Bourg war ..."); Hinw. auf den Druckfehler der Vorlage: Frantzen (1892), 26 f.; vgl. Hauffen: Rez. Frantzen (1897), S. 76.
  • der von Burg ] - Gemeint ist von Rabelais der Kommandeur von St. Antoine zu Bourg-en-Bresse, Antoine du Saix (Lefranc I,17.55; P. Michel, S. 166, Steinsiek, S. 209 zu 62,25), was weder Fischart noch seine Leser wissen konnten noch interessiert haben dürfte.
  • der Teuffel holt kein pfinnig Sau ] Wander, Teufel 183 (diese Stelle); pfinnig, finnig, adj. (DWB 13, 1703, mit dieser Stelle; vgl. DWB 3, 1666); vgl. Art. Finnen im Zedler 9, 955: "der Aussatz derer Schweine", Schweinfinne, ausgelöst durch den Schweinebandwurm.
  • trennungen ] Trennung, f., 'Uneinigkeit, Zwiespalt, Parteiung' (DWB 22, 135 f.)
  • Bruderschafft zu dem roten Hut ] ist das Kardinalscollegium in Rom gemeint (vgl. frz. chapeau rouge, 'Kardinalshut')? Vgl. Bienenkorb (1581): "den wird man bald im ernst zu eym Cardinal machen/ vnd eyn roten hut auff den halß setzen" (VI,6, Bl. 231v). Gewiss keine Anspielung auf die Jesuiten, "deren Hut innen rot gefüttert war" (Nyssen; als Gewissheit wiederholt von Schank 1974, S. 354).
  • inn der Pfarr zur katzenreinische Gisabel ] (A: "Pfarr zum hailigen Gösensebel") - die Pfarre meint das katholische Lager der Katharina de Medici, Königin von Frankreich (1519-1589), Gattin Heinrichs II. Sie wird hier mit der biblischen Jesabel verglichen, die laut Zedler 14, Sp. 451 "gottesvergessen, anbey hoffärtig, und dannenhero wieder die ihr Wesen nicht billigende Leute allerdings grausam war"; vgl. 1 Reg. 16,31; 18,4; 18,13; 2 Reg. 9,7 ("da Jesebel die Propheten des Herrn erwürget" - Katharinas Anteil an der Bartholomäusnacht wird wohl zum Vergleich mit der biblischen Jesabel beigetragen haben; s. Nicolas Barnaud: Reveille matin. 1575, Bl. L iiij v: "Gleicher gestalt haben die Königin etliche Reimen heftig beweget/ die von der Fredegonda vnd Brunenhalt/ auch von der Jeszabel/ vnd jr/ der Catharina gemacht worden/ in welchen das angezeigt würt/ das sie ärger seie/ dan die Jeszabel je gewesen …". Es folgen die von Fischart in Reimen gesetze Lieder, Bl. L v recto u. folgende: u.a. heißt es dort: "Darum ich wol die so ich main | Will nennen gleich die Katterein/ | Diweil sie laßt all Katter ein/ | Vnd ist weder von Katern rain | Noch auch auf Welsch vil Katzenrain". Das zweite Lied ist überschrieben mit "Vergleichung des lebens der Catharinen vnd Jesabel/ samt der vngleichheit jres tods". (Bl. L v verso) – Überzeugend die Deutung Schanks ebd. zu Gösensebel: "Säbel der Guisen" (Verfolgung der Herzöge von Guise).
  • katzenreinisch ] katzenrein, adj. 'rein wie eine Katze', 'wie rein geleckt', 'unschuldig' (DWB 11, 299), hier Wortspiel mit katharinisch, adj. zu Katharina.
  • Gisabel ] Iezabel, Isabel ist eine weibliche Gestalt aus dem Alten Testament, Gemahlin des Königs Achab von Israel (1 Kön 18,4 u. 13); vgl. Zedler 14, 451-453.
  • Cardines terrae die Erdhängel ] cardines, lat. Türangel; im übertragenen Sinne sind die cardines astronomisch die Wendepunkte/Angeln oder Weltachsen (Nord- und Südpol); von Fischart mit „Erdhängel“ (ElsWB 1, 353a, s.v. hangen; DWB 3, 771, diese Stelle) übersetzt. Vgl. "Domini sunt cardines terrae, et posuit super eos orbem" (Reg1, 2,8); "Denn der Welt Grundfesten sind des HErrn und er hat den Erdboden drauf gesetzt" (Luther-Bibel, 1 Sam 2,8).

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  • Ariolator Narriolator ] vgl. ariolare (lat.), 'ahnen, prophezeien, voraussagen'; Wahrsager, "augur, ariolator, sortilegus, oraculorum interpres" (Der Spate [Caspar Stieler]: Der Teutschen Sprache Stammbaum. Nürnberg 1691, Sp. 1668) [Digitalisat] und narrare (lat.) erzählen; etwa zu verstehen als 'Ein Wahrsager ist ein närrischer Erzähler'; vgl. Schank (1974), S. 278 (nur zur Etymologie, nicht zur Quelle).

Absatz 5

  • Hurnaussen weiß (zusammen kommen) ] nach der Art und Weise von Hornissen (DWB 10, 1827: Hornisse 2, mit dieser Stelle).
  • Legionisch ] als Adjektivbildung (nicht im DWB) zu Legion, f., 'Heerhaufe'; aus der Sprache des neuen Testamentes übernommen, "von einer menge engel oder teufel angewendet" (DWB 12, 538).
  • Belzenbubbisch ] Adjektivbildung zu Beelzebub, Abgott der Philister im AT und NT; wörtlich übersetzt bedeutet Baal Zebub "Herr der Fliegen": "Belzebub idolum fuit Accaron, quod interpretatur vir muscarum. Zebub enim musca vocatur." / "Beelzebub war ein Götzenbild in Akkaron (jetzt Akir), was als vir muscarum (Herr der Fliegen) übersetzt wird. Zebub bedeutet nämlich Fliege." (Isid., orig. 8,10,26; Übers.: L. Möller) Vgl. den Art. Beelzebub, oder Baal-Sebub im Zedler 3, 898 (בעל זבוב, Baʿal Zəvûv); Oberster der Teufel.
  • dürmisch ] türmisch, adj. 'wild, ungestüm' (DWB 22, 1872, türmisch 2; vgl. DWB 2, 1734: dürmisch 2, mit dieser Stelle).
  • an dem Ort, so Neßle genannt ] (Garg. "Sorbonne", Ausgabe E: "Nesle") - "Francis I had established a bailiff at Nesle in 1522 to take cognisance of University jurisdirection" (François Rabelais: The five books and minor writing. A translation by William Francis Smith. Vol. 1. London: Watt 1934, S. 96, Anm. 7, mit Verweis auf RER 8, S288)
  • Lutetisch - Oraculum ] (A: Lutecisch, B: Lucetisch, C: Luletisch, DF), Garg.: "l'oracle de Leucece [Lutèce]" - Defaux 204,13 meint, dieses Orakel könne nur [Noël] Beda [gest. 1536] meinen (auf seine Initiative hin wurden im Mai 1533 antilutherische Pamphlete in Paris angeschlagen). - "The Oracle of Leucetia means the pillars of Isis, the protecting goddess of Paris, which in 1514 were in the Church of St. Germain de Prés." (Smith, S. 96, Anm. 7); "(Rabelais) meint damit die Bildsäule der Pariser Schutzgöttin Isis, die noch 1514 in der nicht weit von Nesle gelegenen Abtei-Kirche zu S. Germain des Prés zu sehen war, eine lange, hagre geradlinige, vom Alter gebräunte Figur an der nördlichen Wand, wo das Crucifix steht. Sie war, bis auf einige Drapperie an wenigen Stellen, ganz nackt. Guillaume Briconnet, Bischof von Meaux und Abt zu S. Germain, ließ 1514 sie abnehmen ... vergl. Corroset, Antiq. de Paris, chap. 4." (Regis II,1 [1839], S. 82 f.; vgl. Corrozet 1550, Bl. 4r).
  • nicht Luterisch/ dann diß kam hernach in die Jacobsstraß vnnd vnder S. Hugons Thor ] Nicolas Barnaud: Reveille matin (1575), Bl. B6v berichtet von dem Überfall der katholischen "Pfaffen vnd dem gemainen Volks zu Paris" auf eine Versammlung von dreihundert Protestanten, die nach dem gehaltenem Abendmahl eine Predigt "inn Sanct Jacobs gassen zu Paris" hörten (in der Regierungszeit Heinrichs II.). Ebd. Bl. B9v: "Zu derselbigen zeit ist auch der nam Hugenot aufkomen/ denen zur schmach/ welche man zuvor Lutherische nennet."
  • S. Hugons Thor ] "Hugenotten oder Hugonotten, Huguenotten, ist der Name, welcher ehe dessen denen Frantzösischen Protestanten gegeben worden. Etliche sagen, er sey von dem Hugo-Thore in der Stadt Tours, wo sie zu Anfange der Reformation zusammen kommen pflegten, entsprungen. Chytraeus Chron. XX. p. 147." (Zedler 13, 1110) "Huon Herzog von Bourdeaulx, berühmter Paladin Karls des Großen, vielleicht derselbe, den man noch jetzt zu Tours den roi Hugon nennt, und von dem ein Thor dieser Stadt den Namen führt. Die Huguenotten, die sich bei diesem Thor, wo nach dem Volksglauben der Paladin oder König Hugo alle Nächte erscheint, versammelten, sollen ebenfalls danach benannt seyn." (Regis 2, 187, zum Prolog des zweiten Buchs, Pantagruel) "Die Stadt [Paris] hat 12 Thore und fünf Vorstädte.“ Dazu die Anm.: „Das eine heißt das Thor Hugons nach einem alten Grafen von Tours, der sehr hart und grausam war. Man erzählt viel Mährchen von ihm und gebraucht nach vielen hundert Jahren seinen Namen noch, um die Kinder damit zu schrecken." (Johann Jacob Volkmann: Neueste Reisen durch Frankreich. Bd. 2. Leipzig: Caspar Fritsch 1787, S. 113)
  • Weissagergeistung ] 'Orakel'; vgl. "die Oraculisch Tripodisch Poetisch ergeysterung", Kap. 2, S. 57, Kompositum aus Weissagung, f. (DWB 28, 1167-1170) und (er)geisten, v., hauchen, inspirare (DWB 5, 2743, s.v. geisten); vgl. ergeistern, v. 'inspirare, begeistern' (DWB 3, 819); nicht abgeleitet von Weissagergeist, m. (DWB 28, 1166).
  • verwendung ] f. 'Entwendung, Diebstahl' (DWB 25, 2214: Verwendung 1).
  • erwagen ] "fehlerhaftes part. von erwegen, erwägen" (DWB 3, 1039, diese Stelle).
  • argutirt ] argutiren, "klug und spitzfündig reden" (Odile Schregger: Kleines Wörter-Lexicon. München 1768, S. 21); vgl. lat. argutator, m., 'ein spitzfindiger Schwätzer' (Georges) - nicht im DFWB und ²DFWB.
  • im Baralipton entschlossen ] Baralipton: mnemotechnische Bezeichnung einer Syllogistischen Figur , hier eines Fehlschlusses (die Vokale a e i o bedeuten: universale Affirmation, universale Negation, partikulare Affimation, partikulare Negation). Ba: Omne animal est substantia, ra: omnis homo est animal, lip: Ergo quoddam substantia est homo (ton: ist ohne Bedeutung) - A hat die Eigenschaft B, Jedes C ist ein A, also ist etwas mit der Eigenschaft B ein C. Die Kunstwörter gehen zurück auf den vierten Traktat der Summulae logicales des Petrus Hispanus (13. Jh.) [GND]; vgl. die Ausgabe Straßburg 1514 [VD16 J 669], Bl. d r ff. Vgl. Chrysostomus Javellus: Commentarii in Logicam Aristotelis. Lyon 1555, S. 274 ff. [Digitalisat]
  • Orator ] Redner, s. Kap. 18, S. 278
  • Sophist ] scholastischer Gelehrter (abwertend), s. Kap. 17, S. 267
  • Scotist ] "Scotisten, Scotistae, ist eine Secte der Scholasticker, welche lehreten, daß die heil. Mutter Gottes ohne Sünden empfangen und gebohren wäre. Sie entstund im 14 Jahrhundert, von Johann Duns Scotus, und sind noch jetzo die Franciscaner derselben zugethan." (Zedler 36, 702) Der Streit zwischen den Anhängern der Lehre des Thomas von Aquin (u.a. die Dominikaner) und den Scotisten "hat in der Römischen Kirche länger als dreyhundert Jahre gewähret" (Art. Thomisten, Zedler 43, 1645).
  • Janepetischer Ignorant ] Adj. zu Januspater, (altitalischer Gott Janus, mit dem Beinamen pater; Gott der Türen und Tore; vgl. Georges)? Im Sinne von zweigesichtig, zwielichtig? Vgl. Hor., epist. I,16: "Iane pater clare, clare cum dixit Apollo" (über das zwielichtige Verhalten gewisser Ehrenmänner); Iuv., saturae VI,394: "Respondes his Jane pater?" (ebenfalls über eine zwielichtige, hier weibliche Person, die den Gott um etwas bittet). Zu Janus Kap. 4, S. 94. - Anders Nyssen: "vgl. frz. jean-bête m.: Hans Dampf, Dummkopf, d. sich wichtig macht". Vgl. noch janisch (zu Janos) Kap. 33, S. 412 und Japetisch (zu Japetos), Kap. 1, S. 50
  • Teologant ] Theologant, nach mlat. theologans, Part., 'göttliche Dinge studierend, lehrend' (Paul/Henne, 1003, s.v. Theologe); Theologant ist im Niederländischen des 17. und 18. Jhs. ein weit verbreiteter Begriff (Theologe; Seminarist der Theolog. Fak.?); vgl. Du Cange: Glossarium 8, 96 (Theologans).


Literatur zu diesem Kapitel:

  • Bulang 2011, S. 413-415 (Überbietung der Herleitung des Namens Paris bei Rabelais)
  • Bachorski (2006), S. 377 (Hochzeit zu Kana)
  • Spengler 2005, S. 1487 (Lautmalerei)
  • Zymner 1995, S. 135 (Haufenreim)
  • Zimmer 1981, S. 38 (Lautmalerei)
  • Spengler 1969, S. 327 (Lautmalerei)
  • Kayser 1962, S, 193 f. (Lautmalerei)
  • Hauffen 1922, Bd. 2, S. 339 (Lautmalerei)

An der Kommentierung dieses Kapitels waren beteiligt:

Vjekoslav Boban, Regina Derr, Eckard Friedrichs, Marcel Junkereit, Vilma Klingaite, Maren Leitenberger, Anna-Maria Levers, Sarah Möller, Henriette Scholtz, Melanie Vahland, Ulrich Seelbach (Januar 2017)